Im letzten Beitrag haben wir die Stromproduktion in Deutschland 2022 betrachtet und festgestellt, dass in der summierten Jahresbilanz bereits 46,1% der Einspeisung aus erneuerbaren Quellen erfolgt – vor allem aus Windkraft (24,7%) und Photovoltaik (10,9%). Selbstverständlich stellt sich da die Frage: Können wir nicht einfach weiter Windräder und Photovoltaikanlagen aufstellen, bis wir bei 100% erneuerbarer Einspeisung angelangt sind?

Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns in diesem Beitrag vier einzelne Tage aus dem vergangenen Jahr an und lernen dabei das große Problem der erneuerbaren Energieträger kennen: ihre Fluktuation.

Alle verwendeten Daten stammen direkt von der Bundesnetzagentur (siehe: smard.de) und sind öffentlich verfügbar.

Höchste Produktion aus Wind & Solar: 7. April 2022

Die obige Grafik zeigt die Einspeisung und den Stromverbrauch (rote Linie) am Donnerstag, dem 7. April 2022. Das ist der Tag mit der in Summe größten Menge an eingespeistem Windkraft- plus Photovoltaikstrom des vergangenen Jahres. Es ist deutlich erkennbar, dass der Anteil der Erneuerbaren an diesem Tag weit über 46,1% lag – nämlich bei ganzen 71,0% der Gesamtproduktion. Dabei hat Deutschland durchgehend mehr Strom produziert als verbraucht wurde – wobei die jeweilige Differenz in Pumpspeichern eingespeichert bzw. in unsere Nachbarländer exportiert wurde. Berücksichtigt man nur den jeweiligen Stromverbrauch in Deutschland, so konnten die Erneuerbaren an diesem Tag sogar ganze 82,8% decken.

In Rücksicht auf diesen Tag wird klar, dass wir nicht einfach nur immer mehr Windkraft und Photovoltaik ausbauen können. Denn unter der naiven Annahme, wir hätten einfach doppelt so viel von beidem, würde es an Tagen wie dem 7. April 2022 zu einer gigantischen Überkapazität an erneuerbarem Strom kommen, der überhaupt nicht gebraucht wird.

Niedrigste Produktion aus Wind & Solar: 30. November 2022

Die zweite Grafik zeigt Einspeisung und Stromverbrauch am Mittwoch, dem 30. November 2022. Das ist der Werktag des vergangenen Jahres mit der in Summe geringsten Einspeisung aus Windkraft und Photovoltaik. Es ist klar erkennbar, dass der Anteil der Erneuerbaren hier deutlich unter 46,1% lag – und zwar bei lediglich 17,1% der Gesamtproduktion. Wovon allerdings 7,3 Prozentpunkte aus Biomasse und 2,3 Prozentpunkte aus Wasserkraft stammen, die in Deutschland für einen weiteren Ausbau nur sehr eingeschränkt geeignet sind. Die ausbaufähigen Quellen Windkraft und Photovoltaik trugen an diesem Tag nur 5,9% bzw. 1,2% der Stromproduktion bei.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass an windarmen, bewölkten Tagen auch ein doppelter oder dreifacher Ausbau von Windkraft und Photovoltaik bei weitem nicht zur Deckung unseres heutigen Strombedarfs genügt – ganz zu schweigen vom Strombedarf der Zukunft, der mit E-Mobilität, Wärmepumpen und elektrischer Prozesswärme um einiges größer ausfallen wird. An solchen Tagen wird die Stromversorgung durch fossile Quellen wie Kohle (hier: 48,5% der Produktion) und Erdgas (hier: 23,8%) sichergestellt.

Höchste Produktion aus Windkraft: 17. Februar 2022

Die dritte Grafik zeigt Einspeisung und Stromverbrauch am Donnerstag, dem 17. Februar 2022. Das ist der Tag mit der höchsten Einspeisung aus Windkraft im vergangenen Jahr. Wie auch im ersten Beispiel ist deutlich erkennbar, dass der Anteil der Erneuerbaren hier weit über 46,1% liegt – nämlich bei insgesamt 71,5% der Gesamtproduktion. Die Windkraft stellte an diesem Tag einen Rekordanteil von 59,2%.

Dieses Beispiel ist insgesamt sehr ähnlich zur ersten Grafik. Es wird wieder deutlich, dass ein naiver Zubau von bspw. doppelt so viel Windkraft wie heute zu großen Überkapazitäten an windreichen Tagen wie dem 17. Februar 2022 führen würde.

Höchste Produktion aus Photovoltaik: 15. Juni 2022

Die vierte Grafik zeigt Einspeisung und Stromverbrauch am Mittwoch, dem 15. Juni 2022. Das ist der Werktag mit der höchsten Einspeisung aus Photovoltaik im vergangenen Jahr. An diesem Tag erreichte die Photovoltaik einen beachtlichen Anteil von 24,8% an der Gesamtproduktion. Die Einspeisung aller Erneuerbarer lag zusammen aber dennoch bei gerade einmal 41,5%. Der Grund hierfür lässt sich gut im obigen Schaubild erkennen: An sehr sonnigen Tagen ist es in Deutschland meist sehr windstill – und entsprechend gering fällt die Stromproduktion aus Windkraft aus (hier: nur 5,3% der Gesamtproduktion).

Dass die Photovoltaik auch an ihrem besten Tag des Jahres nur etwa ein Viertel der Tagesstromproduktion ausmacht – nochmal zur Erinnerung: die Windkraft schaffte am 17. Februar 2022 ganze 59,2% der Tagesproduktion – verdeutlicht noch ein anderes, grundlegendes Problem: Die Sonne scheint stets nur tagsüber, und ohne Sonne kein Photovoltaikstrom. Stundenweise betrachtet lieferte die Photovoltaik nämlich bis zu 52,7% des Stroms (zwischen 13 und 14 Uhr), dafür aber vor 5 Uhr morgens und nach 22 Uhr abends gar nichts. Konsequenz: In Sommernächten sind wir meist auf fossile Quellen wie Kohle und Erdgas angewiesen. So stammte am betrachteten 15. Juni 2022 nachts bis zu 47,1% des Stroms aus Kohle (zwischen 0 und 1 Uhr).

Die starke Schwankung der Einspeisung aus Photovoltaik hat aber noch eine andere Folge. Zwischen 7 und 9 Uhr morgens bzw. 16 und 19 Uhr abends schwankt die Einspeisung von einer Stunde zur nächsten um bis zu 8 GWh (Gigawattstunden, 1 GWh = 1000 MWh = 1 Million kWh) – zum Vergleich: das entspricht in etwa dem Ein- bzw. Ausschalten von sechs modernen Kernkraftwerken innerhalb von nur einer Stunde. Um dies auszugleichen müssen viele andere Kraftwerke parallel aus- bzw. eingeschaltet werden, was nur zum Teil innerhalb Deutschlands passiert: Z.B. liegt die Einspeisung aus Erdgas um 15 Uhr bei 5,3 GWh und steigt bis 20 Uhr auf 10,13 GWh. Ein großer Teil der Schwankung wird aber aus Kostengründen durch Stromhandel mit unseren Nachbarländern ausgeglichen, sodass wir nachmittags überschüssigen Strom ins Ausland exportieren und dafür nachts, wenn die Sonne nicht mehr scheint, wiederum Strom importieren.

Dieser Ausgleich ist aber durch den Verbrauch unserer Nachbarländer und die Kapazität der Stromleitungen dorthin begrenzt und kann beim weiteren Ausbau der Photovoltaik in den nächsten Jahren nicht einfach beliebig gesteigert werden. Insbesondere dann nicht, wenn auch unsere Nachbarländer in unsere Fußstapfen treten und selbst große Kapazitäten an Photovoltaikanlagen aufbauen.

Fazit

Wie wir in diesem Beitrag anhand von vier Beispielen gelernt haben, schwankt die Stromeinspeisung aus Windkraft und Photovoltaik in Deutschland stark in Abhängigkeit von Tageszeit und Jahreszeit. Wir sind heute auf fossile Stromerzeugung und auf den Stromhandel mit unseren Nachbarländern angewiesen, um diese Fluktuationen auszugleichen und die Stromversorgung zu jeder Stunde sicherzustellen. Um in Zukunft Strom zu 100% aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, ist folglich neben dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren auch eine umfassende Lösung für deren Schwankungen notwendig. Dies wird sowohl die Errichtung großer Stromspeicher erfordern, als auch den Ausbau der Stromleitungskapazitäten, um den möglichen Stromhandel zwischen den europäischen Staaten zu erhöhen.

Erläuterung:
Da der Stromverbrauch an Wochenenden und Feiertagen deutlich geringer ausfällt, habe ich für alle vier Beispiele jeweils einen Werktag (d.h. Montag bis Freitag) ausgewählt. Die zahlenmäßig größte Einspeisung an Photovoltaikstrom in 2022 war tatsächlich am 2. Juli (Samstag), gefolgt vom 17. Juli (Sonntag) und als drittes der 15. Juni (Mittwoch). Die zahlenmäßig geringste Einspeisung aus Wind plus Solar war tatsächlich am 11. Dezember (Sonntag), gefolgt vom 10. Dezember (Samstag) und als drittes der 30. November (Mittwoch).

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