Auf dem Bild zu sehen ist der Sonnenaufgang hinter dem Kernkraftwerk Philippsburg. Doch eigentlich würde heute eher ein Sonnenuntergang passen. Denn heute, am 15. April 2023, vollzieht Deutschland den Atomausstieg mit der endgültigen Abschaltung der letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2.

Im diesem Beitrag geht es um die unmittelbaren Folgen des deutschen Atomausstiegs und insbesondere der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke Deutschlands. Dieser Beitrag stellt explizit keine allgemeine Auseinandersetzung mit dem Thema Kernenergie dar – hierfür würden wir schon eher ein ganzes Buch benötigen, nicht nur einen einzigen Blog-Eintrag.

Rückblick

Schauen wir uns zunächst noch einmal an, wie es überhaupt dazu kam, dass Deutschland heute inmitten der Energiewende aus der emissionsfreien Kernenergie aussteigt – während dutzende andere Staaten an ihren Kernkraftwerken festhalten und sogar neue planen.

Spätestens seit der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl im April 1986 war die Kernenergie in den Augen der deutschen Öffentlichkeit eine Hochrisikotechnologie, deren Nutzung es zu beenden galt. Was jedoch kaum beachtet wurde: Der RBMK-Reaktor, der in Tschernobyl zu dem Unglück führte, war in vielerlei Hinsicht das Produkt des sozialistischen Sparzwangs. Er wurde entwickelt, um möglichst viel Strom für möglichst wenig Geld zu produzieren – auf Kosten von Personalschulung und Reaktorsicherheit. So wies der RBMK-Reaktor eine ganze Reihe gravierender Sicherheitsmängel1 auf, ohne die es nie zur Katastrophe gekommen wäre. Keine dieser Mängel waren je in kommerziellen, westlichen Kernkraftwerken zu finden. Und so hätte eine Katastrophe wie in Tschernobyl niemals im Westen passieren können. Dennoch wurde besonders in Deutschland nach dem Unglück großer Protest laut gegen die Kernenergie im Allgemeinen.

Etwa 15 Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl wurde schließlich der deutsche Atomausstieg von der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder beschlossen. Die letzten deutschen Kernkraftwerke sollten gemäß dem Atomkonsens mit den Betreibern in den Jahren 2015-2020 vom Netz gehen. Doch 2010 änderte die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel den Kurs, und stellte in Aussicht, den Atomausstieg in die 2030er Jahre aufzuschieben – mit dem korrekten Hinweis, dass die Kernenergie als emissionsfreie Brückentechnologie dienen soll, bis die Erneuerbaren die gesamte deutsche Volkswirtschaft tragen können.

Doch im März 2011 kam es anders: Nach einem schweren Erdbeben kam es wegen des dadurch ausgelösten Tsunami zu einer Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima. Die verheerenden Nachrichten aus Japan veranlassten Staaten weltweit ihre eigenen Kernkraftwerke umfassenden Sicherheitsüberprüfungen zu unterziehen, vor allem in Bezug auf den Katastrophenschutz. So auch die deutsche Bundesregierung, die bereits wenige Tage nach Beginn des Unglücks abermals eine Kehrtwende beschloss: Die verbliebenen deutschen Kernkraftwerke sollten doch, wie ursprünglich vorgesehen, innerhalb des nächsten Jahrzehnts ihren Betrieb beenden. Die letzten drei Kernkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis zum Jahresende 2022. Die Entscheidung zurück zum Atomausstieg viel dabei ohne große Diskussionen, obwohl die deutschen Kernkraftwerke international als besonders sicher galten und das Katastrophenrisiko im erdbeben- und tsunamiarmen Deutschland allgemein sehr gering ist.

Schließlich wurde der Atomausstieg über die vergangenen zehn Jahre Schritt für Schritt vorbereitet und vollzogen. Einzige Ausnahme bleibt die kurze Laufzeitverlängerung für die letzten drei Kernkraftwerke, die im letzten Herbst zur Erhöhung der Stromversorgungssicherheit im Winter beschlossen wurde. Der endgültige Ausstiegstermin ist damit der 15. April 2023.

Folgen für das Klima

Wie wir bereits im Beitrag Woher kommt unser Strom? (2023) gelernt haben, wurden im vergangenen Jahr nur 46,1% der deutschen Stromproduktion durch erneuerbare Energien gedeckt. Mitsamt der emissionsfreien Kernenergie lag der Anteil der emissionsarmen Produktion immerhin bei 52,6%. Dies liegt allerdings deutlich unter den 59,4% emissionsarmem Anteil in 2020, der bei etwa gleichem Anteil von 47,1% erneuerbarer Energien erzielt werden konnte. Der Grund für den Rückgang der emissionsarmen Stromproduktion ist eindeutig: die Abschaltung von Kernkraftwerken. Denn die geringere Einspeisung aus Kernenergie wird vor allem durch Kohle und Erdgas aufgefangen. Der Ausbau der Erneuerbaren erfolgte in den letzten Jahren zu langsam um den Atomausstieg auszugleichen.

Doch selbst wenn der Ausbau der Erneuerbaren schnell genug erfolgen würde, um die Abschaltung der Kernkraftwerke auszugleichen, hätten wir unterm Strich immer noch mehr Emissionen verursacht als notwendig. Denn würden die Kernkraftwerke weiterbetrieben werden, so hätte der Ausbau der Erneuerbaren andererseits die Abschaltung von Kohlekraftwerken ermöglichen können, wodurch tatsächlich Emissionen eingespart werden könnten. Schauen wir uns einmal zahlenmäßig an, welches CO2-Sparpotenzial also im Weiterbetrieb der Kernkraftwerke stecken würde.

Im letzten Jahr haben die übrigen drei Kernkraftwerke zusammen gut 30 TWh (Terawattstunden, 1 TWh = 1000 GWh = 1 Million MWh = 1 Milliarde kWh) Strom ins deutsche Netz eingespeist. Der Einfachheit halber rechnen wir daher mit einer potentiellen Stromeinspeisung von 10 TWh pro Kernkraftwerk und Jahr. Die nachfolgende Tabelle listet die Emissionen, die zur Erzeugung dieser Energiemenge durch die verschiedenen konventionellen Energieträger ausgestoßen werden.

EnergiequelleZieleinspeisungSpezifische Emissionen (CO2-Äquivalente)Emissionen für Zieleinspeisung (CO2-Äquivalente)
Kernenergie10 TWh5 g/kWh50.000 Tonnen
Erdgas10 TWh430 g/kWh4.300.000 Tonnen
Kohle10 TWh1000 g/kWh10.000.000 Tonnen
Tabelle: Vergleich der Emissionen zur Erzeugung von 10 TWh Strom aus konventionellen Energieträgern. Spezifische Emissionen gemäß Bericht der UNECE (Tabelle 13).

Wie anhand der Tabelle ersichtlich ist, könnten wir durch einen Weiterbetrieb eines einzelnen Kernkraftwerks auf den Ausstoß von etwa 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr verzichten, wenn im Austausch dafür die Einspeisung von Kohlekraftwerken um 10 TWh pro Jahr zurückgeht. Mit den drei übrigen Kernkraftwerken Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 ergibt sich somit ein Einsparpotenzial von circa 30 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr Weiterbetrieb. Durch den Ersatz von Kohleverstromung durch weniger emissionsintensive Erdgasverstromung könnte das Einsparpotenzial in den kommenden Jahren natürlich etwas zurückgehen. Doch aufgrund der aktuell sehr angespannten Gasversorgungslage infolge des Kriegs in der Ukraine ist damit in naher Zukunft eher nicht zu rechnen. Und bis die Kohleverstromung durch den Zubau der Erneuerbaren auf unter 30 TWh pro Jahr gesunken ist, werden wohl auch noch einige Jahre vergehen. Insofern bleibt es wohl bis auf weiteres beim Einsparpotenzial von etwa 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Kernkraftwerk und Jahr.

Folgen für die Versorgungssicherheit

An windarmen, bewölkten Wintertagen entsteht durch die Abschaltung der Kernkraftwerke aber noch ein anderes Problem. Dort sind wir in großem Stil auf die Verfügbarkeit von konventionellen Kraftwerken angewiesen, wie wir am Beispiel 2 des Beitrags Das Problem der Erneuerbaren: Fluktuation gesehen haben, solange wir nicht über große Stromspeicher verfügen. Wer diese wo und mit welcher Technologie bauen soll, ist aber bis heute unklar. Und so rechnen die meisten Experten nicht mit nennenswerten Speicherkapazitäten vor 2035 (siehe z.B. Studie von Agora Energiewende). Neben dem Ausbau der Erneuerbaren werden wir also noch mindestens ein Jahrzehnt auf nicht erneuerbare Backup-Kraftwerke zurückgreifen müssen, um die Stromversorgung an windarmen, bewölkten Tagen sicherzustellen.

Ohne Kernenergie stehen uns als Backup-Kraftwerke nur noch die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas zur Verfügung. Da Kohle und Erdöl aber besonders hohe Emissionen verursachen, sollen vor allem Gaskraftwerke im nächsten Jahrzehnt als Backup dienen. So geht das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima gegenwärtig davon aus, dass bis 2030 neue Gaskraftwerke mit einer zusätzlichen Leistung von 17-21 GW (Gigawatt, 1 GW = 1000 MW = 1 Million kW) gebaut werden (siehe Bericht zur Versorgungssicherheit bis 2030). Fragt sich nur, wo das dort verfeuerte Erdgas herkommen soll. Denn wegen des Import-Stopp von russischem Pipelinegas infolge des Ukraine-Krieges ist die Gasversorgungslage in Deutschland zurzeit sehr angespannt und der Preis entsprechend hoch.

Dabei belastet die aktuelle Gaskrise nicht nur die direkten Gasverbraucher, sondern auch unser Stromnetz und seine Versorgungssicherheit. So wurden im letzten Herbst 19 bereits abgeschaltete Kohlekraftwerke mit einer gemeinsamen Leistung von über 7,3 GW zurück ans Netz geholt (siehe: Bundesnetzagentur smard.de), um Gas zu sparen und im Falle eines kalten Winters eine Gasmangellage zu verhindern. Außerdem wurde, wie bereits erwähnt, eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen drei Kernkraftwerke bis über den Winter beschlossen. Schlussendlich sind wir aufgrund milder Temperaturen weit von einer Gasmangellage entfernt geblieben. Doch niemand weiß, wie kalt oder warm der nächste Winter wird – so mahnt der Chef der Bundesnetzagentur weiterhin zum Gassparen (siehe: Artikel von Zeit online), und kündigt dauerhaft höhere Gaspreise an.

In mitten dieser Krisenlage schalten wir nun die verbliebenen drei Kernkraftwerke mit einer sicheren Gesamtleistung von über 4 GW endgültig ab. Es bleibt offen, wo die fehlende Leistung im nächsten Winter im Falle niedriger Temperaturen herkommen soll, bestenfalls ohne die Gasversorgung noch weiter zu belasten.

Fazit

Mit dem Atomausstieg am heutigen 15. April 2023 endet eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte von emissionsfreier Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland. Wir begraben ihr Potenzial als emissionsfreie Brückentechnologie zu dienen und uns jährlich bis zu 10 Millionen Tonnen Emissionen pro Kernkraftwerk zu sparen, bis die erneuerbaren Energien die deutsche Volkswirtschaft in Gänze tragen können. Stattdessen festigen wir unsere Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern Kohle und Erdgas – ausgerechnet in einer Krisensituation, in der die Versorgungssicherheit ohnehin schon angespannt genug ist.

Fußnoten:
1) Zu den Sicherheitsmängeln ein paar Stichworte für die Interessierten: Graphit als Moderator, positiver Dampfblasenkoeffizient, Kontrollstäbe mit Graphitspitzen.

Vielen Dank an Markus Distelrath auf Pixabay für das Titelbild des Beitrags.

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